“Das war’s. Jetzt haben sie alles erreicht. Von jetzt an kann’s nur noch bergab gehen.” Das war unser Fazit. Letztes Jahr im August, als wir LaBrassBanda auf dem Chiemsee Reggae Summer sahen. Als Headliner vor 30.000 Zuschauern. Ein bisschen Enttäuschung schwang damals mit. Fünfmal hatten wir die Chiemgauer in den letzten vier Jahren gesehen, 2009 noch im Universum. Seitdem wurde alles immer größer, lauter und schneller. Dass diese rasante Steigerung nicht weitergehen konnte, war abzusehen. Und – auch wenn wir immer unseren Spaß hatten – besser geworden sind die Konzerte mit der zunehmenden Größe nicht.
Dass sie sich nach diesem Gig selbst eine kreative Pause verordneten, ließ ja nur erkennen, dass sie das vielleicht ganz ähnlich sahen. Natürlich verfolgten wir weiterhin, was die Jungs so trieben. Wir mussten feststellen, dass sie das sympathische Trikont-Label verließen und zu Sony wechselten. Wir unterstützten sie trotzdem mit x Anrufen, als sie beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest antraten. Auch wenn wir fanden, dass “Nackert” eher einer ihrer schwachen Titel ist, war er immer noch meilenweit vor allen Mitbewerbern, und wir träumten kurz davon, dass Deutschland im europäischen Wettbewerb von fünf kernigen und authentischen Kerlen vetreten werden könnte. Schwamm drüber, dass sie letztlich von einer fragwürdigen “Fach-Jury” auf Platz zwei heruntergewertet wurden.
Die Liebe zu LaBrassBanda, die wir damals kurzerhand auf das gesamte Chiemgau übertrugen und uns fortan unsere Sommerurlaube im DörfchenÜbersee verbringen ließ, drohte zu erkalten. (Apropos: weiß die dortige Tourismus-Behörde eigentlich, was sie dieser Band verdankt?) Aber dann kam das neue Album “Europa” und schon nach erstmaligem Hören war klar: die Jungs sind mitnichten über ihren Zenit hinaus. Im Gegenteil, das neue Werk ist musikalisch vielfältiger, elektronischer und keinen Deut schlechter als die ersten beiden. Und die Auskopplung “Nackert” tatsächlich einer der eher entbehrlichen Titel.
Und so freuen wir uns dann doch auf das Konzert auf der Freilichtbühne.
Das Trio Liedfett eröffnet den Abend um 19 Uhr. Das Oval ist noch lange nicht gefüllt, aber die drei Hamburger schaffen es tatsächlich mit minimaler Technik (ein Cajon, ein Gitarre, ein Stoffpferd und einige Flaschen Bier) das Publikum für sich zu interessieren. Ihr Genre bezeichnen sie als “Liedermaching Untergrund”, das ganze bewegt sich irgendwo zwischen Schülerband, Fun Punk, Polka und Trash und ist durchaus erheiternd. Textlich nicht unbedingt etwas für Feingeister und Freunde des subtilen Humors, aber es wirkt: Nach einer guten halben Stunde haben sie die inzwischen deutlich angewachsene Menge zum Mitsingen und kollektiven Bellen gebracht. Das Warmup für LaBrassBanda ist gelungen.
Das Publikum in der ausverkauften Freilichtbühne, bereits vorletztes Jahr an gleicher Stelle ein bunter Querschnitt durch sämtliche Altersgruppen und Bevölkerungsschichten, zeigt noch deutlicher, dass LaBrassBanda im Mainstream angekommen sind. Einige tragen sogar Ihre Bierzelt-Pseudo-Tracht. Klares Zeichen, dass man sich hier um jeden Preis amüsieren will.
Und jetzt wird es spannend: Wird LaBrassBanda uns begeistern können? Stefan Dettl scheint unsere Befürchtungen zu ahnen: “Bloß weil wir jetzt bei einem Major Label sind, heißt das nicht, das wir gemütlich geworden sind. Wir wollen heute ganz ‘brudal spuin’”. Und bereits nach zwei Titeln ist klar: die Jungs meinen’s ernst. Das geht mehr ab als je zuvor. Und zwar nicht so sehr vom Tempo her. Es ist das dichtere Arrangement, das so treibt. Die fünf haben sich mit zwei weiteren Trompeten und Percussions verstärkt. Natürlich schmettert Dettl weiterhin die mörderschnellen Melodien, aber die zusätzlichen Trompeten setzen Akzente, machen den Sound voller und die Percussions unterstützen den schwerst arbeitenden Drummer. Das Ganze klingt viel exakter und weniger überhastet als auf den letzten Gigs. Und das kommt gut an. Bereits zum dritten Titel kann Dettl die auf den Rängen sitzenden Zuschauer zum Aufstehen und Mittanzen bewegen.
Das Prinzip ist bei vielen Titeln ähnlich: Die Kombination aus Tuba und Schlagzeug ist schon ein solides Fundament, wenn dann noch E-Bass und Percussions einsetzen, gibt’s kein Halten mehr. Zum Titel “VW Jetta” wird im Publikum ein metergroßes Transparent mit einem Polizei-Jetta ausgerollt. Da ist sogar Dettl kurz perplex, dann aber werden die Besitzer mitsamt Plakat auf die Bühne geholt. Im Anschluss fordert das Publikum lautstark den Hit “Autobahn” und er wird prompt erfüllt. Die Setlist wird kurzerhand über den Haufen geworfen. Warum auch nicht, man hat ja noch zwanzig weitere ebenso starke Titel im Gepäck. Wenig später begibt sich plötzlich das Publikum auf die Knie und macht kollektive Ruderbewegung. Keiner weiß, was das soll, die Band staunt über das durchgeknallte Stuttgarter Publikum, die Stimmung könnte nicht besser sein. Wenn man sich umschaut, blickt man nur in breit grinsende Gesichter.
Das Set ist eine lose Mischung alter und neuer Titel, bei “Holland” fällt der Backdrop mit dem bekannten Kuh-Motiv und das das aktuelle Album-Cover kommt zum Vorschein. Was immer man uns damit sagen will (vielleicht das Zeichen für den Aufbruch in eine neue Ära?) wir sehen nur, dass hier ein gnadenlos gutes Konzert abgeliefert wird, das es mühelos in die Jahresbestenliste schaffen wird. Ganz erfreulich übrigens, dass es für Killesberg-Verhältnisse ziemlich laut ist.
Gut zwei Stunden geht der Spaß und LaBrassBanda entlassen uns glücklich in eine laue Sommernacht. (Und nächstes Jahr fahren wir wieder nach Übersee)